#25 I Birgit Reitbauer über Unternehmertum, Familienwerte und weshalb gute Laune Pflicht ist
Birgit Reitbauer ist gemeinsam mit ihrem Mann Heinz Gastgeberin und Unternehmerin des ikonischen Dreisterne-Restaurants Steirereck in Wien, des Steirereck am Pogusch und der Meierei im Stadtpark. Ihre Herangehensweise an Gastronomie verbindet große Menschlichkeit mit betriebswirtschaftlichem Verantwortungsgefühl, tiefer regionaler Verwurzelung und höchstem kulinarischen Anspruch. Sie steht für eine Führungskultur, die auf Vertrauen, Konstanz und persönlicher Nähe basiert – in einem Familienunternehmen, das sich stetig weiterentwickelt, aber nie seine Wurzeln vergisst.
Gelernt von Birgit:
Authentizität, Ausdauer und unternehmerischer Realismus
Birgit Reitbauer zeigt in beeindruckender Klarheit, dass Erfolg in der Spitzengastronomie nicht nur auf Bewertungen basiert. Wirtschaftlichkeit, Teamführung und Stammgäste sind für sie essenzielle Faktoren.
Learnings:
- Stern nicht als Ziel, sondern als Ergebnis: Die drei Michelin-Sterne waren eine Überraschung, keine Zielvorgabe – der Fokus lag immer auf dem eigenen Betrieb und den Gästen.
- Stammgäste sind ein Anker: Ein Hochzeitsgast, der jedes Jahr wiederkommt, zählt genauso wie der tägliche Besucher – Konstanz und Wiedererkennung erzeugen Loyalität.
- Nachhaltiger Erfolg braucht Wirtschaftlichkeit: Ohne finanziellen Spielraum kein Invest in neue Geräte, Personal oder Produkte – Exzellenz muss sich auch rechnen.
Führung und Teamkultur
Birgit und Heinz Reitbauer sind Unternehmer im ursprünglichen Sinn: präsent, entscheidungsfreudig, gleichzeitig klar und menschlich in der Führung.
Learnings:
- Mitarbeiter wachsen lassen: Viele Schlüsselpersonen haben als Kommis angefangen und wurden bewusst in ihrer Entwicklung gefördert.
- Konstanz durch klare Kommunikation: Erwartungen an Verweildauer, Vorlaufzeiten bei Kündigungen und Verhalten werden im Bewerbungsgespräch offen angesprochen.
- Vorbildkultur: "Die Chefin ist doppelt so alt wie ich und rennt wie ein Wiesel" – Leistung beginnt an der Spitze.
Feedback, Fehler und Kulturwandel
Birgit pflegt eine direkte und empathische Feedbackkultur – Fehler werden früh erkannt und offen besprochen.
Learnings:
- Frühes Einschreiten im Tagesgeschäft: Durch die enge Einbindung im Team werden Probleme sofort erkannt – oft reicht ein humorvoller Kommentar.
- Würde im Trennen: Wenn es nicht passt, dann „mit hocherhobenem Haupt“ auseinandergehen – ohne Groll, aber mit Klarheit.
- Gute Laune ist Pflicht: Die Stimmung im Team beginnt bei der Führung – wer schlecht drauf ist, zieht andere mit.
Kulinarik, Regionalität und Konzept-Feinjustierung
Der Weg des Steirereck war nicht linear – er führte über Rückschläge, Umbauten und strategische Neuausrichtung hin zu einer unverwechselbaren Handschrift.
Learnings:
- Von Neuseeland zurück zum Neusiedler See: Der bewusste Verzicht auf internationale Produkte zugunsten regionaler Partner führte zur eigenen Identität.
- Gerichte mit Tiefe statt Effekt: Es geht nicht um Punktl-Punktl-Küche, sondern um Produkte, die sich beim Essen erschließen.
- Brot- und Käsewagen als Erlebnis: Produkte werden zur Bühne – mit Verantwortlichen, die sie leben, verstehen und weiterentwickeln.
Struktur, Organisation und Ausbildung
Das Unternehmen ist klar strukturiert, bleibt aber familiär geführt. Ausbildung hat hohen Stellenwert.
Learnings:
- Klare Verantwortlichkeiten: Eigenständigkeit in Schlüsselrollen wie Wein, Käse oder Brot – aber immer mit klar definierten Rahmen.
- Digitalisierung nur, wo sinnvoll: Reservierungssystem ja – iPad-Weinkarte nein. Qualität hat auch mit Haptik und Ruhe zu tun.
- Ausbildung ist Persönlichkeitsarbeit: Junge Menschen werden durch Gespräche geformt – zwischen Tür und Angel, aber mit Konsequenz.
Fazit: Bodenständiger Luxus mit Haltung
Birgit Reitbauer steht für eine Gastronomie, die inspiriert, weil sie bei sich bleibt. Sie lebt Unternehmertum, Familienwerte und Gastfreundschaft mit Herz und Verstand.
Für Gastronom:innen bedeutet das:
- Erfolg ist ein Prozess, keine Auszeichnung.
- Fördere Talente, ohne sie kleinzuhalten.
- Wirtschaftlichkeit und Emotion schließen sich nicht aus.
- Gute Gastgeber:innen erinnern sich – an Gesichter, Vorlieben, Wünsche.
- Regionalität ist kein Dogma, sondern eine Haltung.